Ich bin seit meinem letzten Briefe immer südlicher gezogen, wie die Zugvögel im Herbste. Potsdam verließ ich den 21. März, blieb bis zum 4. April in Braunschweig, war dann zu Anfange Aprils in meiner Heimat, einige Tage an der Ruhr, endlich mit Freiligrath in Köln und Düsseldorf und gelangte am 20. April hier in Geisenheim an. Schon am 23. trieb es mich weiter: ich blieb bis zum letzten in Frankfurt, vom 3-14.Mai in Mannheim und vom 15.-22. in Darmstadt. Am 25. kam ich wieder hierher zurück. Das schöne Wetter in der schönen Natur und der tiefe Frieden, der hier im ganzen Rheingau waltet, tut meiner Seele wohl. Ich bin wirklich seit einigen Tagen ein neuer Mensch geworden, körperlich frisch und gestärkt, und geistig gehoben.
Ich habe den Bürgerkrieg in seine Anfängen mitgemacht. Den 3. Mai war ich mit auf der großen Volksversammlung in Kaiserslautern, begleitet von meinen „drei Sommerliedern“, welche der Stimmung des Tages entsprachen. Als ich am Abend eintraf, führte mich mein Wirt, der mich vom Jahre 43 kannte, auf die Volksversammlung. Als man meiner gewahr ward, mußte ich mich dem souveränen Volke zeigen und wurde mit dreimaligen („donnerndem“ würdest du hinzufügen) Hoch bewillkommnet.
Der Volksversammlung in Mannheim, die über das Schicksal der dortigen Garnison entschied, wohnte ich auch bei. Im Hauptquartieren zu Ludwigshafen war ich öfter. Die ganze Zeit über, also vier Wochen hinter einander, war ich in der größten Aufregung und endlich so körperlich leidend, daß ich mich vom Schauplatze zurückziehen mußte. Was habe ich nicht alles gehört und gesehen ! Wie habe ich geschimpft und geflucht über diese großartige Verräterei der Fürsten und ihrer Helfershelfer, dieser Frankfurter Millionenhunde.
Ich habe aber doch auch schöne, herrliche Augenblicke erlebt ! Alte, fast verschollene Freunde und Bekannte tauchten wieder auf mit alter Liebe und Treue und ließen mich die Abtrünnigen bald vergessen. Itzstein hat sehr gealtert. Heckers Schicksal, die Abtrünnigkeit der alten Freunde und die ganz verfehlte Frankfurter Geschichte haben ihm die frühere Frische des Geistes und die belebende Heiterkeit im geselligen Verkehre sehr abgeschwächt.
Was ich in den letzten Tagen des Januars begann (die Distichen), ist nach und nach so angewachsen, daß ich es unter dem Titel: „Spitzkugeln“ in die Welt geschleudert habe. Die Auflage ist hoffentlich in einigen Tagen vergriffen und wird dann mit neuen vermehrt abermals erscheinen, wenn bis dahin der Absolutismus nicht alles unterdrückt hat.
(Am zweiten Pfingsttage 1849, Geisenheim, an Rudolf Müller in Holdorf , Briefe, S.152)
Diesem Brief an Müller in Holdorf zufolge hat Hoffmann am 3. Mai 1849 Lied in Kaiserslautern das Lied „Eisen bricht die Not“ vorgetragen, in dem er zum bewaffneten Kampf aufruft: „Sollt in eueren Adern kreisen noch ein Fünkchen Ehr und Mut / Greift zum Schwerte! Greift zum Eisen! / Tilgt die Not mit eurem Blut“. Vermutlich hat er das Lied extra zu diesem Anlaß geschrieben.
In seinen Lebenserinnerungen bechreibt er seine Rolle als unbedeutend: „Am 14. Mai war ganz Baden im Aufstande. Schon den Abend vorher war der Großherzog aus seiner Residenz geflohen, die Regierung beseitigt, das Heer abtrünnig geworden, der Landesausschuß hatte die Regierungsgewalt an sich gerissen und einen Aufruf erlassen. In Mannheim war große Aufregung. Die Soldaten schlossen sich der Volksbewegung an, und eine Bürgerwehr trat ins Leben.
Ich hatte genug an diesen gewaltigen Anstrengungen aller Parteien, alles in Verwirrung zu bringen, um schließlich weder für sich noch für das Vaterland etwas zu erreichen. Es wurde ein schreckliches Trauerspiel vorbereitet. Ich mochte nicht als müßiger Zuschauer warten, bis es in Szene gesetzt war, und wie hätte ich mich beteiligen sollen ? Meine Waffe war das Lied, und diese Waffe galt bei dem großen Haufen und seinen Führern, die nur mit roher Gewalt noch etwas auszurichten hofften, gar nichts mehr“ (Mein Leben 4, S.77)
Nichts von diesem unveröffentlichtem Aufruf zum bewaffenten Kampf, der an Freiligraths „Die Toten an die Lebenden“ erinnerte, ein Aufruf, jetzt alles für die Revolution zu wagen. Einer dieser Führer, von denen er sich später distanzierte, war sein Freund Hecker und hatte er nicht noch im August 1845 in dem Gedicht „Ein Teufel über den Anderen“ einen herbeigewünscht, der die Freiheit notfalls mit Gewalt herbeischaffte ?
Oder spricht da einer, der sich den Siegern von 1849 als ungefährlich und „geläutert“ darstellen will. Als es 1870 / 71 um den Sieg über Frankreich geht, da jubelt er únd hat keine Probleme mit der praktizierten rohen Gewalt !
Wenn man liest, was Hoffmann in der Zeit des deutsch – französischen Krieges 1870 / 71 schreibt, wie deutlich er Stellung zu beziehen weiß, darf man an seinen Worten zweifeln. Immerhin stand er, als er diese Sätze aufschrieb, in Diensten eines Fürsten.
1849, da war er sich selbst verantwortlich: Er veröffentlicht „Spitzkugeln, Zeit – Distichen“ im Selbstverlag, Auflage 700 Stück. Diese wurden bei der Ausgabe der „Gesammelten Werke“ nicht berücksichtigt, überhaupt fällt auf, daß wenig von seiner politischen Dichtung dieser Tage später noch nachgedruckt wird.