Krach mit den Gebrüdern Grimm

Am 24. Februar hatte Wilhelm Grimm Geburtstag. Hoffmann beschließt, am Abend hinzugehen. Er hatte gehört, daß Studenten Wilhelm Grimm und seinem Bruder einen Fackelzug bringen wollten. Er wird sehr herzlich von der Familie empfangen, dann kommt der Fackelzug, Gendarmen und Polizisten gehen voran, offensichtlich um zu verhindern, daß aus dem Umzug eine politische Kundgebung wird. Wilhelm Grimm steht auf dem Balkon und dankt den Studenten. Hoffmann steht im Halbdunkel und lehnt sich etwas vor, um besser zu hören, erst jetzt will er erkannt worden sein. Vielleicht hatte sich, wie anderen Orts geschehen, seine Anwesenheit aber auch schon herumgesprochen, jedenfalls ruft jemand: „Hoffmann von Fallersleben hoch!“, und die Menge jubelt. Die Situation ist ihm peinlich, dennoch geht er später hinunter und bedankt sich bei den Studenten. Am nächsten Tag ist er wieder bei den Grimms, die Stimmung ist steif und angespannt, Hoffmann begleitet Bettina von Arnim zu ihrer Wohnung. „Das Hoch, das Ihnen gebracht wurde kam den Leuten so recht vom Herzen.“

Am 26. Februar sucht ihn frühmorgens, Hoffmann ist noch im Bett, der Polizeirat Hofrichter auf und teilt ihm mit, daß er Berlin sofort verlassen muß. Der Grund ist das „Lebehoch“ der Studenten und die Tatsache, daß er sich dafür bedankt hat. „Wir wissen“, bemerkt er, „daß die Studenten Ihnen eine besondere Ehre zu erweisen beabsichtigen, und darum muß dem vorgebeugt werden, man will so etwas nicht usw.“ Hoffmann fährt zu dem Präsidenten Puttkamer, dem gegenüber er seine Unschuld an dem Vorfall beteuert. Er wird aufgefordert, das ganze schriftlich einzureichen, es ginge um seine „Zukunft im Preußischen Staate.“ Als Begründung für die Ausweisung aus Berlin wird ihm gesagt: „Die Studenten sind zu aufgeregt. Es ist notwendig, daß der Zündstoff ferngehalten wird, man muß das Feuer dämpfen und nicht aufschüren.“ Und der Zündstoff heißt Hoffmann von Fallersleben.

Doch gewährt ihm der Präsident auf seine Bitte hin, noch einen Tag länger zu bleiben, da er zum Essen eingeladen wurde. So gibt es dann am 27. Februar bei Dr. Nauwerck ein „sehr ergötzliches Mittagessen vier Gemaßregelter: Dr. Lorentzen kommt eben aus einem stundenlangen Verhör, Dr. Rutenberg muß um 4 auf die Polizei, Dr. Nauwerck zum Dekan und ich zur Post. Um 6 Uhr verlasse ich Berlin.“

Ob Hoffmann an dem Vorfall wirklich ganz unschuldig war, läßt sich schwer feststellen, denkbar ist aber zumindest , daß er seine alten Vorbilder aus der Reserve locken wollte, daß sie sich öffentlich zu ihm bekennen sollten. Schließlich war er jetzt in der gleichen Situation wie die Gebrüder Grimm, nachdem sie 1837 in Göttingen entlassen worden waren.

Hoffmann verbringt die nächsten Tage bei Runge in Oranienburg, der ihm den „fast unfreiwilligen Besuch“ so angenehm wie möglich zu machen suchte. „Dr. Rutenberg besuchte uns auf einige Tage und wußte noch allerlei Neuigkeiten zu erzählen. Die Polizei wäre noch eifrig bemüht, die Anstifter des Hochs auf mich zu ermitteln; auch spräche man davon, ich wäre schon heimlich seit 8 Tagen in Berlin gewesen, um eine Störung des Grimmschen Festes einzuleiten…“ Hoffmann schreibt seine Sicht der Dinge auf und schickt sie an den Präsidenten, aber der für ihn traurige Höhepunkt der ganzen Angelegenheit kommt erst noch. Am 6. März veröffentlichen Jakob und Wilhelm Grimm in der „Allgemeinen Preußischen Zeitung“ folgende Erklärung:

„Die auswärtigen Blätter überbieten sich in falschen Erklärungen über den letzten Fackelzug. Sie mögen in ihren Widersprüchen untergehen, nur die bare Unwahrheit muß widerlegt werden und kann vor hundert und hundert Zeugen nicht bestehen, daß Dr. Hoffmann von Fallersleben in den Kreis der Studierenden von Wilhelm Grimm sei hinab geleitet worden. Erst als dieser seine Rede vollendet hatte, nur von einem Deputierten begleitet, hinuntergegangen und wiedergekehrt, der Gesang aber geschlossen war, erscholl plötzlich und außerhalb des Zuges aus einzelnen Stimmen das alle Anwesende überraschende Lebehoch für Hoffmann. Kein Mensch hat diesen ein Wort reden hören. Er war, ohne daß wir irgend von seiner Ankunft wußten, in die Gesellschaft getreten; es schien in keiner anderen Absicht, als uns zu dem ihm bekannten Geburtstag Glück zu wünschen. Unsere Sache ist es nicht ihn zu meiden, weil er von anderen gemieden wird. Wir kennen ihn seit 1818 persönlich: das sind lange Jahre, in welchen er uns willfährig literarische Dienste leistete und sich immer teilnehmend gegen uns bewies. (…) Das Schicksal, von dem er betroffen worden ist, tut uns leid: diese Empfindung verbindet uns aber nicht, seine Meinungen und Handlungen zu vertreten oder gutzuheißen…“

Hoffmann gibt keine Gegenerklärung ab, die Erklärung der Gebrüder Grimm schadet seinem Ansehen offensichtlich nicht. Einige geheime Räte und Akademiker nehmen gegen ihn Partei, ansonsten erfährt er unter dem Motto „Bei uns kein Grimm gegen Hoffmann“ viel Solidarität. Es wird an manchen Orten sogar für ihn gesammelt. Von den Teilnehmern des Fackelzuges wird der Student Albert Tiede konsiliiert und ein Dr. Eduard Meyen zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Am 10. März abends verläßt Hoffmann Oranienburg, ohne den Weg über Berlin zu nehmen, wozu ihn der Präsident Puttkammer aufgefordert hatte: „Man muß das Feuer dämpfen und nicht aufschüren.“