Bürgerschule und Privatunterricht

Nach Jahr und Tag muß ich wohl so weit gediehen sein, daß ich die Bürgerschule besuchen konnte. Ich erinnere mich wenigstens noch, daß eines Tags der ehrwürdige Superintendent Ziegler uns besuchte und tüchtig abkanzelte: ›Ihr Heiden, ihr Hottentotten –‹ begann er seine Anrede. Dann kam er zu mir, legte seine Hand sanft auf meinen Kopf und sprach: ›Du mein Kind bist artig und fleißig.‹ –

Der Unterricht in dieser zweiten Abtheilung der Bürgerschule war sehr dürftig. Meine Eltern und mehrere Familien wollten deshalb ihren Kindern einen besseren geben lassen. Sie einigten sich und fanden in dem Herrn Stolberg einen passenden Lehrer. Es wurde ihm ein Gehalt festgesetzt, eine Wohnung gemiethet und etwa unser acht wurden seine Schüler. So bekamen wir denn zum Lehrer einen Gelehrten, der eben nicht zu viel gelernt hatte und vor der Candidatur des Predigtamtes stehen geblieben war.

Obschon diese Schule von kurzer Dauer war, so hatte sie auf mich doch vortheilhaft gewirkt; ich wurde mit manchen Dingen bekannt, von denen ich früher keine Ahndung hatte: ich erfuhr etwas von den Naturreichen und der Länder- und Völkerkunde, und machte den Anfang mit dem Französischen. Nachdem das Verhältniß mit Stolberg gelöst war, besuchte ich wieder die Bürgerschule, nebenbei aber ging ich wöchentlich mehrere Stunden zum Schreiben und Rechnen bei Herrn Harms.

Unser Nachbar Harms, ein Kaufmann, der seinen Handel hatte aufgeben müssen, war Schreiblehrer geworden. Er schrieb eine hübsche Hand und ertheilte guten Unterricht im Schreiben und Rechnen. Er war mit mir recht zufrieden und ich schrieb seine Vorschriften ziemlich gut nach, aber, aber den krummen Finger beim Schreiben konnte er mir nicht abgewöhnen und ich habe ihn mein ganzes Leben behalten. Im Rechnen hatte ich es ziemlich weit gebracht, setzte es leider später nicht fort. Hätte ich nur behalten was ich damals konnte, – ich hatte den alten Hemeling bis über die Mitte durchgerechnet! – es wäre mir in manchen Lagen des Lebens von großem Vortheile gewesen.

Für Musik hatte ich viel Sinn, vielleicht auch Anlage, aber keine Gelegenheit, Singen und Spielen zu lernen. Ich freuete mich an Musik und Gesang, und was ich singen hörte, wußte ich schnell auswendig und sang es nach. Ich machte mir selbst musicalische Instrumente, überzog Schachteldeckel mit Drahtsaiten, suchte aus ungleichen Rohrstangen eine Papagenopfeife zusammenzufügen und aus Wallnußschalen kleine Klappern zu bereiten. Unser oberster Boden war die eigentliche Polterkammer. Unter allerlei Gerümpel befand sich dort eine alte Drehorgel.

Manche Stunde spielte ich mir hier alle Stücke nach einander vor und oft mehrmals. Der Gesang in der Schule beschränkte sich meist auf Kirchenlieder. Jeder sang, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Als ich später mit zu den Neujahrssängern gehören sollte, handelte es sich nur um zweistimmigen Gesang, oder um ›grob und fein‹, wie wir es bequemer nannten. Wer ein gutes Gehör und eine gute Stimme hatte, genügte vollkommen den mäßigen Anfoderungen.

Zum Zeichnen hatte ich große Lust, aber es fehlte mir auch dazu an Anweisung. Ich begnügte mich, Häuser und Bäume aus dem Kopfe zu zeichnen oder nach Bilderbogen und sie nachher auszumalen. Um ein ziemlich treues Bild zu erlangen, hielt ich an eine Glasscheibe das Original mit darüber gelegtem feinen Papiere und zog nun darauf mit einem Bleistift die Umrisse nach und malte diese dann aus. Da sich aber so etwas nur bei Tage veranstalten ließ und die Winterabende sehr lang waren, so machten wir uns Papier mit Fett und Kienruß schwarz, legten dies mit der schwarzen Seite auf weißes Papier und oben drauf das Original, das dann durchgezeichnet wurde. So gab es denn Tag- und Nachtbilder.

So ergötzlich diese Beschäftigung und jedesmal mit jedem neuen Tuschkasten gar eifrig unternommen wurde, so hielt sie doch nicht lange an, wir kehrten immer wieder zu unseren alten lieb gewordenen Bilderbüchern zurück. Daneben mußte der alte Guckkasten uns noch manche Stunde ausfüllen. Er enthielt einige alte Ansichten von Versailles, tapetenartig gemalt. Sie machten sich aber gar hübsch, wenn sie hinten mit zwei Lichtern beleuchtet wurden. Daß aber dieser Kasten noch zu etwas anderem dienen könnte, ahndeten wir nicht.

Später machten wir eine Camera obscura daraus, stellten ihn mitten in den Garten zu Ende des langen Ganges, gerade dem Kirchthurme gegenüber. Da sahen wir denn zu unserer großen Freude eine liebliche Landschaft auf das weiße Papier hingezaubert mit allen Blumen und Bäumen, von bunten Schmetterlingen und Vögeln durchflogen. Bei jeder anderen Stellung des Kastens gewannen wir natürlich immer ein anderes Bild. Mancher heitere Sommertag lud uns zu dieser mühelosen und genußreichen Landschaftsmalerei ein.

in Mein Leben Band 1 S. 10 f