100 Jahre Deutschlandlied: Artikel von 1941 über Hoffmann von Fallersleben auf Helgoland und die Entstehung der Nationalhymne. Mitten im 2. Weltkrieg:
So, der Besuch aus Hannover hatte sich eben verabschiedet, und der Bewohner dieses kleinen Giebelstübchens hoch oben an der Kante des Oberlandes von Helgoland machte es sich nun wieder bequem in dem alten Lehnstuhl, der wie immer in der Ecke des Mansardenzimmers stand. Hier saß er doch am liebsten, der Dichter aus dem Niedersachsenlande. War hier im Raum auch alles einfach, ja fast dürftig, so gab es doch etwas, was manches stolze Logierhaus nicht aufzuweisen hatte: Drei Fenster, durch die man eine herrliche Aussicht genoss nicht nur auf das Meer mit seiner ewigen Brandung, sondern auch auf die roten Klippen und Felsen, wie Mönch, Nonne, Hengst u.a.
Hier oben wohnt die Freiheit, hier durfte er dichten, wie es ihm ums Herz war, und keine tadelnde Strafmaßnahme einer engherzigen Behörde, die den einstigen Universitätsprofessor ums Amt gebracht hatte, würde ihn jetzt daran hindern können. [sachlicher Fehler: Hoffmann war noch im Amt…]
Hier saß er mit der Sehnsucht im Herzen und blickte auf das wogende Meer, in dessen nebliger Ferne er das land wußte, dem immer seine ganze Liebe gehörte. Fern der Heimat, auf fremden Boden, hatte er ja erst – wie so mancher andere – den wahren Sinn dieser Liebe verstanden. Sogar in dem sonnigen Italien hatte ihn die Sehnsucht gepackt, der er dann in der ewigen Stadt Ausdruck verliehen: „Ist ein Land, es heißt Italia, blühn die Orangen und Zitronen; singe, sprach die Römerin und ich sang zum Norden hin: Nur in Deutschland usw.“
Eben hatte der Dichter die Fenster weit geöffnet und tief die herrliche Luft eingesogen, die sich wie Balsam auf die Lungen legt, da hört er ein Rauschen heraufdringen, das ihm fremd schien und sich vom gewöhnlichen Meeresrauschen wesentlich unterschied. Er lehnte sich nun etwas weiter zum Fenster hinaus und erkennt jetzt die große Flagge Old – Englands hoch am Flaggenmaste des Gouvernementsgebäudes. Da ballte sich seine große Hand zur Faust:
„Was hat denn eigentlich England auf dieser urdeutschen Insel zu suchen, und fern, ach so fern liegt mein Deutschland, getrennt in zahllose kleine und größere Staaten und ohnmächtig gegen solche Willkür. Wann kommt die Stunde, in der Deutschlands Stämme sich – brüderlich geeint – gegen solche Vergewaltigung zur Wehr setzen und jeden fremden Eindringling zurück – und ins Meer treiben ?“ [So stellt man sich das vor – damals wie heute – das Zitat ist meines Wissens erstunken und erlogen !]
Nun war das rechte Wort gefunden und der Dichter wußte, was er zu schreiben hatte. Er setzt sich nieder, benutzt die altfränkische Kommode als Tisch und schrieb. Und die Gedanken kamen, wie von dem heftigen Nordwest draußen hereingetrieben, hintereinander wie sie Meer und Brandung ihm hier auf der Kante eingeben. Als er fertig war, sind es drei nicht sehr große, aber inhaltsreiche Verse geworden, unter der Überschrift: „Das Lied der Deutschen“ und darunter stand: Hoffmann von Fallersleben. – „So, nun mag Campe kommen, das Deutschlandlied liegt bereit.“ Das war am 26. August des Jahres 1841.
Drei Tage später traf der Verleger aus Hamburg auf der Insel ein, und von diesem Tage berichtet Hoffmann in seinen Aufzeichnungen wie folgt:
„Das Wetter war schön geworden, und wir machten gleich nach der Landung einen netten Spaziergang am Strande, in dessen Verlauf ich auch bemerkte: Ich habe ein Lied gemacht, das kostet aber 4 Louisdor!“ „Dann gehen wir zu Andersen“, war die kurze Antwort. Andersen war der alte Wirt einer kleinen Weinkneipe „Zur schönen Aussicht“, die sich dazumal auf dem Platze befand, auf dem heute das Finanzamt steht, und wir gingen ins „Erholungszimmer“, wo ich bei einer Flasche Rheinwein Campe mein Lied vorlas. Ich hatte aber noch nicht fertig gelesen, da legte er mir schon die 4 Louisdor auf den Tisch, knüpfte aber die Bedingung daran, daß ich eine leichtfassliche, möglichst schon geläufige Singweise dazu fände.
Wir probten nun gemeinsam auf dem kleinen Spinett Andersens und einigten uns schließlich auf die Weise des Liedes „Gott erhalte Franz den Kaiser“, die bekanntlich aus einem kirchlichen Satz von Haydn stammt. Campe steckte eine Abschrift sofort ein und bringt mir am 4. September das Lied mit der Haydnschen Musik in Noten und zugleich mein Bildnis, gezeichnet von Bill.“
Ein Jahr danach wurde Hoffmann von Fallersleben ohne Prozeß und ohne Pension endgültig aus seiner Breslauer Professur entlassen. Er hatte sich bei der preußischen Regierung missliebig wegen seiner „Unpolitischen Lieder“ gemacht. Sein Deutschlandlied aber erobert sich die Welt, soweit die deutsche Zunge klingt, wie kein anderes je zuvor.
Nike Janssen , Göttinger Allgemeine, 26. August 1941